Leserkommentar zum Artikel 624: Kinderarmut - wieviel Luxus braucht der junge Mensch?

 

20. Dezember 2016

 

 

Sehr geehrter Herr Müller,

sicher ist Ihr Artikel schon älteren Datums, trotzdem holt uns die Wahrheit auf immer schmerzhaftere Weise ein.

Der Mindestlohn hat nur wirklich denjenigen eine Verbesserung gebracht, die vorher mit einem geringeren Stundenlohn abgespeist wurden, so die Arbeitgeber diesen auch korrekt zahlen. Er wird ja in vielen Fällen "umgangen" (auch bei meinem Mann).

Weiterhin hat der Mindestlohn zur Folge, dass viele Firmen wirklich nur noch diesen bereit sind zu zahlen - bei Neueinstellungen seit dem 01.01.2015. Das volle physische und psychische Potential der Arbeitnehmer wird dabei mehr als ausgeschöpft und zwar auf das Rücksichtsloseste! Die Ausbeutung nimmt immer mehr zu, das Finanzamt reibt sich die Hände und kassiert von uns jährlich mehr als 2700,- ¤ Lohnsteuer, die Familie mit zwei in Vollzeit arbeitenden Erwachsenen und zwei Kindern, die auf einem Gymnasium lernen und dann auch gern studieren möchten, erhält zudem keine weitere Unterstützung als das Kindergeld. Dieses deckt nur einen Teil der tatsächlichen Kosten.

Viele Kosten sind steuerrechtlich auch völlig unberücksichtigt, da die Kinder ja auch kein eigenes Einkommen haben. Die Eltern zahlen fleißig weiter... Bafög für ein berufliches Gymnasium, für das man noch steuerlich lediglich zu 30 % als einkommensmindernd berücksichtigtes Schulgeld bezahlt (Sonderausgaben;  1680,- ¤ Kosten bringen tatsächlich etwa 35,- ¤ zurück!!!!!), gibt es nur für Schüler, die einen eigenen Haushalt führen - wer soll das bezahlen? Und sie dürfen diesen eigenen Haushalt unter 25 Jahren auch nur aus einem ganz triftigen Grund führen.

Dazu bekommen wir nur für unseren 15jährigen Sohn 50 % der ÖPNV-Jahreskarte vom Schulamt erstattet, ab der 11. Klasse (unsere Tochter derzeit) ist ein Schulweg von 35 km Voraussetzung. Ich lasse jedoch meine Kinder nicht täglich 14 km zu Schule und zurück laufen! Den Antrag auf Übernahme von 50 % der Kosten habe ich trotzdem gestellt, da es ein Urteil gibt, dass auf dem Passus in der Satzung beruht, dass ein Schulweg von mehr als einer Stunde nicht zulässig ist - wogegen die Stadt in Berufung gegangen ist. Dieser wird nun abgelehnt werden und ich werde mit dieser Begründung und der Benachteiligung gegenüber jüngeren Schülern in Widerspruch gehen, um für alle Fälle unseren Anspruch zu wahren.

Die Gesamtsituation ist für uns "um die 50" die: Wir werden es nicht schaffen, unseren Kindern einen vernünftigen Start in einen besser bezahlten "Job" mittels akademischen Abschluss zu ermöglichen, obwohl beide sehr gute Leistungen haben, während ein Netto-Familieneinkommen von 2650,- ¤ inclusive Kindergeld feste monatliche Kosten von 1400,- ¤ gegenüberstehen. Von dem Rest müssen wir essen, trinken, waschen, putzen, ein 20 Jahre alten Familienauto pflegen und betanken, Kleidung und Schuhe kaufen, Hauhaltsgeräte und Möbel anschaffen, Klassenfahrten bezahlen und Personalausweise, Bewerbungskosten für Schulpraktika unserer Kinder bereitstellen incl. beglaubigter Zeugniskopien, Schuster und Frisör bezahlen und auch mal eine Ferienwohnung.

Eigentlich bräuchten wir beide Teil-Zahnersatz und ich komme mit einer Lesebrille nicht wirklich klar, da ich kurz- und weitsichtig bin, was auf die berufliche Anforderung in den letzten zwei Jahren zurückzuführen ist. Sicher habe ich noch einige Kosten vergessen, nur in die Gaststätte gehen wir nie, maximal Imbiss gelegentlich, da ich es nicht mehr schaffe, täglich zu kochen. Zudem ist unsere gesundheitliche Situation als völlig abgearbeitet einzustufen, während mein Mann, der schon 40 Vollzeit-Arbeitsjahre hinter sich hat, erst 24 Rentenpunkte erworben hat und ich, da durch die Kinder und den 70- Stunden-Job meines Mannes eine größere Lücke im Arbeitsleben hatte, erst 16 Punkte erwarb.

Dabei haben wir beide keine unterdurchschnittliche Ausbildungssituation, wir konnten uns nur aufgrund des immer niedrigen Einkommens in Verbindung mit hoher arbeitszeitlicher Belastung nicht wehren, sprich nach anderer Arbeit umsehen, ALG und evtl. sogar eine Sperrfrist wegen Kündigung riskieren. Zudem benötigt man für Bewerbungen Zeit und Geld, man landet ja sicher nicht beim ersten Versuch einen Treffer. Seit auch ich Vollzeit arbeite, sind die paar Reserven aufgebraucht, das Konto wird in diesem Dezember 2016 überzogen, Weihnachtsgeschenke sind nicht einmal für die Kinder drin. Das ist etwas, was noch nie passiert ist und was ich nicht akzeptieren kann! Unsere Kinder sollten darunter nicht so leiden!

Ich werde meine Überstunden demnächst dazu verwenden, meine gravierenden gesundheitlichen Probleme durch Stress und schlechte Arbeitsbedingungen bei einem Facharzt abklären zu lassen, immer mit dem schlechten Gewissen im Hinterkopf, dass mein Mann möglicherweise in noch größerer gesundheitlicher Gefahr ist. Wer weiß schon, wie viele Warnungen ein Mensch noch frei hat. Dauerherzschmerzen und stolpern sollten abgeklärt werden!

In diesem oder ähnlichen Dilemma stecken so einige Familien in unserem Land fest, sie sollten sich zusammentun und etwas dagegen unternehmen! Aber dafür ist auch keine Zeit und Kraft übrig.

G. M., Dresden